G2 Schaulager
LITTLE PICTURES
Lydia Marx
Diplomausstellung:
8. – 27. Juli 2025
ÖFFNUNGSZEITEN
(durch öffentliche Führungen):
Mi. 18 – 19 Uhr / Fr. – So. 15 – 16 Uhr
In Lydia Marx’ Videoarbeit Little Pictures agiert eine Kameradrohne als Mitbewohnerin zweier Frauen, die gemeinsam ein großes Haus im ländlichen Raum bewohnen. Die Drohne ist Schwester, Bruder und Freundin und wirkt zugleich als Darstellerin, Bildproduzentin und Erzählerin des Films. Sie navigiert die Betrachtenden durch die Geschichte von Hanna, Lilli und sich selbst. Dabei produziert sie Bilder, erläutert Situationen, Gedanken, Kontexte. Sie begleitet die beiden Frauen durch ihren Alltag im Inneren des Hauses und im Außenraum – zu sehen sind gemeinsame Essen am Küchentisch, Freizeitaktivitäten im Wohnzimmer und Garten, die Arbeit auf dem Feld und eine Beerdigung. Die Drohne kommentiert, was sie sieht und erlebt. Dabei tritt sie jedoch zunehmend als unzuverlässige Erzählerin auf, denn innerhalb ihrer Aussagen und Bilder kommt es zu irreführenden Ungereimtheiten: Hanna liest ein Buch auf dem Kopf, Lilli spielt mit den Zehen Piano, Tastaturtippen wird als Klavierspielen bezeichnet, ein Radio für einen Hund gehalten, dieses zerstört, beerdigt und begraben. Im Film werden die Wahrnehmungsfehler der Drohne, ihre Abweichungen in der Mustererkennung, zu tatsächlichen visuellen Bildfehlern. Die Drohne selbst stellt gelegentlich die eigene Unzulänglichkeit und Fehlbarkeit fest, etwa wenn sie zu Beginn des Films kommentiert:
Although I practiced a lot, I had trouble finding the entrance door. I often bumped into the narrow frame. Lilli was very good in entering the entrance door, even though she did it for the first time.
The backyard looked like the rivers, mountains, forests and shopping centers that I already knew and could usually distinguish when they were connected on maps.
Sie verweist damit auf die Art und Weise, wie sie in ihrer technischen Funktion als Kameradrohne, die über einen Datenspeicher verfügt und mittels künstlicher Intelligenz spricht, durch Repetition und Reproduktion, durch das kontinuierliche Sammeln von Daten und deren Zusammenstellung in einem Archiv lernt; wie sie so ihre Umgebung mit der Zeit besser erkennen, unterscheiden und begrifflich einordnen kann. Die Drohne sammelt sogenannte Trainingsdaten, um besser – vielleicht auch: menschenähnlicher? – agieren zu können. Noch wirkt die Drohne in ihren körperlichen Handlungen und Bewegungen zuweilen ungeschickt und regelrecht verletzlich. Und auch ihre Aussagen erscheinen trotz aller mitschwingenden Zärtlichkeit häufig austauschbar und oberflächlich; sie sind auswendig gelernt und reproduzieren Klischees. Mit der oben zitierten Aussage der Drohne ist zudem ein weiteres zentrales Thema angesprochen, das Little Pictures verhandelt und das die drei sehr unterschiedlichen Figuren – Hanna, Lilli und die Drohne – trotz aller betonter Unterschiedlichkeit narrativ miteinander verbindet: Erinnerungen.
Nicht nur die beiden Frauen, auch die Drohne selbst verfügt über ein Gedächtnis. Ihren eigenen Angaben zufolge besitzt sie einen Speicher, den sie zuweilen als ein geradezu poetisches Archiv der Erinnerungen ausweist, etwa wenn sie ihrer selbst bewusst von ihrem Zusammenleben mit Vögeln berichtet, die ihr das Fliegen beibrachten. Der Erinnerungsspeicher der Drohne zeichnet sich durch eine örtliche Orientierung aus: Die von ihr erinnerten Situationen und Emotionen sind an einzelne Räume und Orte geknüpft, die über eine sogenannte Map, also eine Karte, miteinander verbunden sind. Kommt es zu Störungen zwischen den jeweiligen Verbindungspunkten dieser Map, so kann dies zu Orientierungslosigkeit und Gedächtnisschwund führen. Der Drohnenspeicher scheint dabei nicht nur Träger eigener Erinnerungen zu sein, vielmehr haben auch die beiden Frauen ihrerseits einzelne Erinnerungen an die Drohne ausgelagert. Im Film stellt Marx dem Gedächtnis und Speicher der Drohne die augenscheinlichen Schwangerschaften Hannas und Lillis gegenüber. Dabei nutzt sie das Bild menschlicher Schwangerschaft, um – assoziativ – auf die spezifische Bedeutung auch des menschlichen Körpers als Speicherort zu verweisen; als Speicher nicht nur vergangener Erinnerungen, sondern auch der Sichtbarkeit der Zukunft in der Gegenwart.
In Little Pictures stellt Marx mit ihrer spezifischen Charakteristik der Drohne gleichermaßen die Frage danach, wie im technischen Zeitalter mit (menschlichen) Erinnerungen umgegangen wird und was dabei der Anspruch an technische Geräte ist. Und sie fragt auch danach, was Menschen – ausgehend von einer ethischen Perspektive – für lebenswert halten. Denn welche Bedeutung hat die Drohne im Zusammenleben und welche Rolle spielt sie für die beiden Frauen? Zwar wird sie von Hanna und Lilli in einigen Situationen einbezogen und mitgedacht, doch nimmt sie dabei eher den untergeordneten Stellenwert eines Haustiers ein, als den einer tatsächlichen Mitbewohnerin. Gleichwohl beschreibt Little Pictures ein geradezu intimes Verhältnis zwischen Mensch und Drohne, das insbesondere durch den ungewöhnlichen Einsatz des technischen Geräts in Innenräumen sowie dessen Erzählerinnenstimme zutage tritt und deutlich von der bislang in der bildenden Kunst etablierten, eher negativ geprägten Konnotation der Drohne als distanziertes Kriegsgerät, Kontroll- und Überwachungsinstrument abweicht.
Ausstellungstext von Rahel Schrohe
Trailer: